Eule

Naturvergessenheit

Welch ein Widerspruch: Obwohl sich weltweit die Temperaturrekorde überschlagen und Extremwetterereignisse deutlich zunehmen, spielte der Klimaschutz im letzten Bundestagswahlkampf keine Rolle, weder in den Parteiprogrammen noch in TV-Duellen oder Interviews. Daran vermochten auch die Bilder von brennenden Stadtteilen in Los Angeles nichts zu ändern. Migration, Wirtschaft und Krieg waren und sind stattdessen die zentralen Themen. Die Klimakrise dagegen wird vergessen, geradezu tabuisiert. Klima, so der Soziologe Armin Nassehi, sei gegenwärtig ein “verbranntes Thema”, mit dem man “keine Wahl gewinnen” könne.

Aber es geht noch schlimmer: Während sich immerhin etwa jeder fünfte Bundesbürger Sorgen um den Klimawandel macht (vgl. etwa das Ipsos-"Stimmungsbarometer" vom Februar 2025), scheint das Artensterben, der dramatische Rückgang der Biodiversität, den meisten noch gar nicht bewusst zu sein. Dabei sehen Fachleute darin sogar das größere Problem. Die renommierte Biodiversitätsforscherin Katrin Böhning-Gaese bringt es auf den Punkt: “Der Klimawandel entscheidet darüber, WIE wir leben, wie wir mit mehr Wirbelstürmen, größerer Trockenheit, neuen Krankheiten oder weniger produktivem Land zurechtkommen. Der Artenschutz entscheidet darüber, OB wir leben” (Vom Verschwinden der Arten, 2023, S. 25-26).

Katrin Böhning-Gaese findet für die existenzielle Bedeutung der Artenvielfalt ein eindrückliches Bild. Für sie ist die Biodiversität der “Maschinenraum der Natur” (S. 52). Sie sorgt durch ihre vielfältigen regulierenden Leistungen dafür, dass Pflanzen, Tiere und Menschen überhaupt leben können. Wenn wir die Naturräume weiterhin so beschneiden, ausbeuten und vergiften, berauben wir uns also unserer eigenen Lebensgrundlagen.

Wie rasant die destruktive Entwicklung ist, wird deutlich, wenn man sich die Einschätzung des 2012 gegründeten Weltbiodiversitätsrates (IPBES) ansieht: Die Wissenschaftler:innen der UN-Organisation gehen davon aus, dass die aktuellen Aussterberaten “mindestens zehn bis hundertmal über der durchschnittlichen Rate der letzten zehn Millionen Jahre” liegen (Böhning-Gaese, S. 16). Wir erleben derzeit - nach dem Verschwinden der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren - möglicherweise den Beginn des sechsten, dieses Mal aber ausschließlich menschlich verursachten Massenaussterbens auf unserem Planeten.

Setzen wir der allgemeinen “Naturvergessenheit” - so der Titel eines bereits vor 24 Jahren erschienenen Buches von Günter Altner - etwas entgegen. Machen wir uns in den Umweltschulen bewusst, was geschieht, und setzen wir viele Mut machende Zeichen. So kann bereits die naturnahe Gestaltung eines Schulgartens dazu führen, dass viele Insekten und Vögel zurückkommen - und uns ein lebendiges Beispiel geben von der Vielfalt und Schönheit der Natur!